Beethovens Prometheus

Die Geschöpfe des Prometheus: komponiert 1800/1801 für den Choreographen Salvatore Viganò (1769-1821) ist das Werk Ludwig van Beethovens einziges allegorisches Ballett und mit der knapp zuvor entstandenen ersten Sinfonie sein erstes großformatiges Orchesterwerk. Obwohl das Stück damals ein großer Erfolg war, ist das Libretto verschollen; wir sind auf lückenhafte zeitgenössische Beschreibungen und unsere eigene Phantasie angewiesen.

Die Musik ist hochinteressant und für uns alle eine enorme „Entdeckung“. Gleich zu Beginn von Beethovens sinfonischer Laufbahn finden wir Querverbindungen zu immerhin sechs seiner Sinfonien: Naturbeschreibungen (inklusive „Pastorale“ und Gewitter) wie in der sechsten Sinfonie, instrumentale Rezitative wie in der fünften, siebten und neunten, das Finalthema der Eroica – und die Ouvertüre beginnt wie der erste Satz der ersten Sinfonie mit dem berühmten „falschen“ C-Dur-Septakkord; hier aber noch härter, da die Sept im Baß liegt. Am wichtigsten aber: Auch hier handelt es sich, wie in der fünften und neunten Sinfonie, wie im „Fidelio“, um eine Reise aus dem Dunkel ins Licht.

Die Ballette um 1800 hatten nicht besonders viel mit dem zu tun, was wir heute darunter verstehen; etliche Elemente der Pantomime waren noch darin erhalten, und nicht jedes auf der Bühne dargestellte Bild war unbedingt von Musik begleitet. Es ist vielleicht am besten, sich Beethovens Prometheus-Musik wie Musik zu einem Stummfilm vorzustellen. Da aber die Musik konzertant sehr unübersichtlich wird (man findet keinen sinfonischen „Bogen“), versuche ich während des Konzertes, die Handlung zwischen den einzelnen Blöcken zu skizzieren.

Prometheus, der Titan, hatte die Menschen aus Lehm geschaffen: zwei Statuen – eine Frau und einen Mann. Um ihnen nun auch noch Leben einzuhauchen stahl er dem Zeus das Feuer. Wenn die sich der Vorhang nach der Ouvertüre hebt, sehen wir eine gebirgige Landschaft, durch die ein Gewitter tobt – Zeus verfolgt den Dieb mit Donner und Blitz. Wir hören, wie Prometheus, nachdem sich der Sturm gelegt hat, seine Geschöpfe mit dem Feuer zum Leben erweckt und dann müde wird. Während er schläft, beginnen sich die Statuen zu regen (1); allerdings rein mechanisch und, um in der Diktion der Zeit zu bleiben, ohne Vernunft. Der erwachte Prometheus versucht nun, ihnen durch Zuneigung und gutes Zureden Vernunft zu vermitteln, scheitert jedoch: die Geschöpfe versuchen zu fliehen.
Prometheus versucht es nun (2) mit Autorität, mit Drohungen; gerät so in Rage, daß er erwägt, seine Geschöpfe zu zerstören. Eine innere Stimme – man kann sie in den Bläserakkorden am Ende der Nummer 2 wunderbar erkennen – rät ihm jedoch davon ab und gibt ihm eine neue Idee, nämlich: die Geschöpfe auf dem Parnaß von Apoll und den Musen erziehen zu lassen. Nummer 3 ist ein gelöstes Menuett, in dem wir gegen Ende die Schritte der Wandersleute hören können.

Laut zeitgenössischen Beschreibungen war der Beginn des zweiten Aktes nicht von Musik begleitet. Da das dargestellte Tableau den Gipfel des Parnaß mit Apollon und den neun Musen darstellt, und da das Ballett sonst nicht ganz abendfüllend wäre, erlauben wir uns, an dieser Stelle Mozarts (wessen Werke sind eher für diesen Ort geeignet?) zweites Flötenkonzert in D-Dur KV 314 aufzuführen.
Dieses Konzert (1778) ist eine Bearbeitung des Oboenkonzerts C-Dur KV 271k (1777); außer dem für die Flöte relativ tief liegenden ersten Satz erinnert allerdings überhaupt nichts daran, daß das Stück original für ein anderes Soloinstrument geschrieben war. Das ganze Konzert besticht durch seine enorm transparente Instrumentation – die Flöte wird niemals „zugedeckt“ – und durch einen höchst tänzerischen Gestus. Das finale Rondeau erinnert wohl nicht ganz zufällig an die Blonde-Arie Nr. 12 aus der „Entführung“ – „Welche Wonne, welche Lust / Herrscht nunmehr in meiner Brust!“

Wir befinden uns nun also auf dem Gipfel des Parnaß: Apoll thront hier, umgeben von den neun Musen. Prometheus bittet ihn, seine Geschöpfe zu erziehen – Euterpe, die Muse der Lyrik und des Flötenspiels, macht den Anfang, zusammen mit Amphion – ein wunderbarer Anachronismus, denn Amphion ist ein Sterblicher, der durch sein Lyraspiel die Stadt Theben erbaute (deren sieben Tore entsprechen den sieben Saiten des Instrumentes). Arion, ein weiterer berühmter Sänger, und Orpheus, der berühmteste Musiker von allen, kommen hinzu; schließlich auch der Gott selbst. Überwältigt von der Macht der Musik taumeln die beiden Wesen hierhin und dorthin, um ihre Dankbarkeit auszudrücken; Terpsichore, die Muse des Tanzes, und die drei Grazien tanzen einen eleganten Tanz (6), und die Wesen sinken endlich vor Prometheus in die Knie und danken ihm (7). Sodann treten Dionysos und sein Gefolge auf – und beginnen einen „heroischen“ Tanz (8): denn Dionysos ist nicht nur der Gott des Weins: zu seinen Ehren wurde Theater gespielt. Die Geschöpfe werden davon ganz und gar überwältigt und lassen es sich nicht nehmen, an diesem Tanz teilzunehmen.

Da tritt Melpomene, die Muse der Tragödie, dazwischen: durch ihre tragische Szene (9) – und Klage; das Oboensolo weist auf jenes der 5. Sinfonie voraus und auf die instrumentalen Rezitative der „Sturmsonate“ op. 31/2, der As-Dur-Klaviersonate op. 110 und der 9. Sinfonie – durch diese Szene also wird den Wesen bewußt, daß sie sterben müssen. Melpomene klagt deswegen Prometheus an – und ersticht ihn. Die Geschöpfe bleiben verzweifelt zurück.

Thalia, die Muse der Komödie, und Pan treten nun in einer „Pastorale“ (10) auf: zunächst tröstet Thalia die Geschöpfe, indem sie ihnen lachende Masken vorhält – und dann erweckt Pan mit einem Flötensolo Prometheus wieder zum Leben (12): allgemeiner Jubel; drei Faune („Grotteski“, wie es orthographisch zweifelhaft im originalen Klavierauszug heißt, 13) feiern auf ihre Art…

Die Geschöpfe des Prometheus sind nun selbständig – sie haben durch die Künste alle denkbaren Emotionen erlebt und dadurch Vernunft erlangt. Zum Schluß tanzen sie ihre Soli: zuerst sie (14, quasi ein Doppelkonzert für Oboe und Bassetthorn (wieder der einzige Einsatz bei Beethoven)), dann er (15)…

Das Ballett schließt mit einem allgemeinen Freudentanz (16), dessen Thema Beethoven noch einige Zeit beschäftigen sollte: Wir begegnen ihm wieder in den (komplexeren) Klaviervariationen op. 35 („Prometheus“- oder „Eroica“-Variationen) und dann nochmals im extrem komplexen Finalsatz der dritten Sinfonie, der „Eroica“.

Nicolas Radulescu, März 2009

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